Ich möchte ein paar Worte aus meinem tiefsten, inneren Verständnis dazu schreiben, denn ich beobachte an mir selbst, dass ich doch immer wieder total irritiert bin. Für viele Menschen und viele Eltern scheint Hochsensibilität die Erklärung für jegliches Verhalten zu sein und ich würde mir da ein wenig mehr Achtsamkeit wünschen.
Nur weil sich ein Kind schnell vor etwas erschreckt, muss es noch lange nicht hochsensibel sein.
Nur weil es viel weint, muss es nicht hochsensibel sein.
Nur weil es Schwierigkeiten in der Eingewöhnung hat, muss es nicht hochsensibel sein.
Nur weil es gefühlsstark ist, muss es nicht hochsensibel sein.
Hochsensibilität sollte nicht als Ausrede und Grund für jegliches „nicht ganz normale“ Verhalten benutzt werden und wenn das passiert, geschieht nämlich genau der Teufelskreis, den dann die wirklich Betroffenen beklagen. Sie werden nicht mehr ernst genommen.
Hochsensibilität wurde von Elaine Aron mit 4 Indikatoren definiert, die jenseits von schnellen Tests im Internet Aufschluss darüber geben könne, ob diese Veranlagung wirklich vorhanden ist.
In meinem Workbook habe ich dazu ein Kapitel geschrieben, dass ich gerne mit euch teilen möchte:
Woran erkennen Eltern die Hochsensibilität ihres Kindes?
Im Internet gibt es mittlerweile viele Tests zu dem Thema. Diese Tests geben einen ersten Eindruck, ob das Kind eine hochsensible Veranlagung haben könnte. Da Hochsensibilität keine Krankheit ist, gibt es kein Diagnostikverfahren wie z.B. bei ADHS, oder Autismus. Neben den Test hat Elain N. Aron vier Indikatoren zur Feststellung von Hochsensibilität benannt mit denen sowohl Eltern, als pädagogische Fachkräfte die Möglichkeit einer Einschätzung bekommen.
1. Hohe Empfindsamkeit der Sinne
Hochsensible Menschen haben einen, oder mehrere Sinne, die besonders reizoffen sind. Wenn der Bereich des Hörens betroffen ist, werden diese Menschen z.B. Konzerte eher vermeiden, schneller von Partys nach Hause gehen, das Radio ausschalten, den Fernseher leiser stellen und unter z.B. länger andauerndem Baulärm besonders leiden. Es kann sein, dass mehrere Sinne sehr empfindlich sind, oder alle. Bei diesem Indikator drückt sich die Problematik sehr direkt aus.
Im Hinblick auf hochsensible Kinder (HSK) gilt es deswegen sich auf Spurensuche zu begeben!
Input:
• Wann reagiert mein Kind besonders empfindlich?
• Welche Begebenheiten hatte diese Situation?
• Kann mein Kind benennen, was es gestört hat?
• Was kann ich tun, um meinem Kind die Situation zu erleichtern?
• Welche Ideen hat mein Kind?
2. Tiefes, intensives Wahrnehmen und Verarbeiten
Hochsensible Menschen beobachten genau und detailliert. Ihre aufgenommen Informationen werden sehr gründlich und tief verarbeitet. Das führt dazu, dass sie bei Entscheidungen länger brauchen, weil sie in ihrem Inneren versuchen alles auszuwerten und zu durchdenken. Auf der anderen Seite sind hochsensible Menschen in der Lage komplexe Zusammenhänge oft rein intuitiv zu erfassen. Sie können gut quer denken, dahinter sehen und viele Informationen zu einer Kernaussage zusammenführen. Ein tiefes Wahrnehmen kann sich darin äußern, dass sich bereits Kinder mehr Gedanken über Gott, Tod, Verlust etc. machen. Sie stellen Fragen, die so manchen Erwachsenen überfordert und überrascht, wirken etwas altklug und eher wie kleine Erwachsene, als wie unbedarfte Kinder.
Input:
• Nachfragen! Worüber hast du gerade nachgedacht? Und eintauchen in die Gedankenwelt des Kindes
• offen sein für Fragen der Kinder zu philosophischen Themen. Kinder brauchen keine Antwort, sondern einen Gesprächspartner, der sie ernst nimmt. Frag nach! Was denkst du, was nach dem Tod passiert?
• Geduld haben. Manche Abläufe brauchen länger. Das Kind ist im Kopf noch dabei den Stau aus unterschiedlichen Reizen aufzuräumen.
3. Intensive Emotionen
Das intensive Wahrnehmen führt zu intensiven Emotionen. Im Gegensatz zu traumatisierten Menschen äußert sich dies bei Hochsensiblen sowohl im negativen, als auch im positiven Bereich. Angst und Sorgen können genauso stark wahrgenommen werden wie z.B. Freude.
Hochsensible Kinder können z.B. durch einen Streit mit der Mutter wesentlich länger betroffen sein, als ein normal sensibles Kind. Manchmal dauert es Stunden,oder Tage bis Ereignisse verarbeitet sind und zur Seite gelegt werden können. Ebenso können intensive Emotionen zu einem „Überreagieren“ führen, weil viel zu viel Gefühl vorhanden ist und es nach außen muss. Eher introvertierte Menschen neigen dazu, ihre Emotionen in sich hineinzufressen.
Input:
• Gespräche über Situationen die ein Kind bewegt hat sind wichtig.
• Viele HSK sind viel in ihrem Kopf! Es hilft ihnen in den Körper zu kommen. Draußen im Wald, beim Sport, Toben, Reiten etc. So können sie Emotionen abbauen.
4. Überreizung
Durch ihre Art der Wahrnehmung geraten hochsensible Menschen schneller in einen Zustand der Übererregung. Es entsteht Stress im Körper, der sich unterschiedlich äußert, durch Unbehagen, Bauchschmerzen, Schweiß, Blackouts, Reizbarkeit, Weinen oder Erschöpfung. Aufgrund der Überreizung werden viele Hochsensible als „Sensibelchen“ oder „Mimose“ abgestempelt. Fakt ist, dass diese Menschen schneller „voll sind“ und mehr Zeit benötigen um wieder „leer“ zu werden. Sie sind schneller erschöpft, weil sie mehr Reize, oder intensivere Reize verarbeiten müssen als andere.
HSK fallen z.B. dadurch auf, dass sie auf einem Kindergeburtstag als erstes nach Hause wollen, oder nach einer Zeit beginnen zu weinen, oder überdrehen. Große Kindergartengruppen können zu einer Überreizung führen, ebenso wie anhaltender Stress im Elternhaus, oder große Erwartungshaltungen und Druck in der Schule.
Input:
• Beobachten und Kinder helfen aus ihrer Überreizung wieder heraus zu kommen
• Entspannung oder Sport
• Kuscheln, Ruhe, Rückzug
• Gespräche
Extrovertierte und introvertierte hochsensible Kinder
Die meisten Menschen denken bei dem Begriff „Hochsensibilität“ an feinfühlige und feinsinnige Kinder, die sich eher ruhig verhalten und wenig auffallen. Es gibt aber auch eine andere Seite.
Extrovertierte HSK
Diese Kinder gehen mit ihren Gefühlen nach außen. Wenn sie überreizt sind, können sie vor Wut, oder Frustration explodieren. Klappt z.B. das Rollerfahren nicht direkt beim ersten Mal, wirft sich das Kind weinend auf den Boden und ist schrecklich frustriert.
Es gilt gut hinzusehen, denn nicht selten werden extrovertierte HSK mit Kindern die unter ADHS leiden, verwechselt.
Introvertierte HSK
Sie sind eher die Stillen und Leisen und gehen in Kindergartengruppen oft unter. Sie können sich hervorragend anpassen und stehen nicht gerne im Mittelpunkt. Sie fressen ihre Gefühle eher in sich hinein und brauchen Erwachsene, die ihnen helfen, mit ihren Emotionen umzugehen.
Natürlich gibt es nicht DAS extrovertierte hochsensible Kind! Sondern bei jedem Kind äußert es sich anders. Um ihr Verhalten einsortieren zu können, helfen diese Bilder. Man sollte Kinder aber niemals in eine Schublade stecken und sie dann darin lassen! Wirklich spannend wird es, wenn man sich auf das Abenteuer Hochsensibilität einlässt und sich mit dem Kind zusammen auf den Weg macht diese Veranlagung besser kennenzulernen.
Quellen. Hensel, Ulrike: Hochsensible Menschen im Coaching. Junfermann Verlag, 2015
Ich wünsche mir bei diesem Thema, dass wir vorsichtiger und behutsamer mit dem Wort „Hochsensibilität“ umgehen, damit wir wirklich damit ernst genommen werden können. Dafür müssen wir uns auch tiefergehend damit beschäftigen, was Hochsensibilität meint, sie bei uns, oder unseren Kindern erforschen und kennenlernen und herausfinden, auf welche Sinne etc. wir/unser Kind besonders empfindsam reagiert. Seht es als spannende Reise, macht euch auf Spurensuche, aber bleibt dabei auch wach und lasst nicht zu, dass dieses Wort eure Erklärung für alles wird!
Hochsensibilität ist KEINE Krankheit – die wird nicht schlimmer, oder besser, nur unser Umgang damit! Je besser wir unsere eigene Hochsensibilität verstehen, oder die unserer Kinder, um so leichter gelingt ein entspannter, neugieriger und absolut lebenwerter und bereichernder Umgang damit.
Wenn ihr euch Begleitung und Unterstützung dabei wünscht – schreibt mir!