Kennst du diesen Moment, wo du plötzlich etwas verstehst, und zwar so total? Nicht in deinem rational denkenden Kopf, sondern innerlich tief in deinem System. Wenn mir so etwas passiert, fällt es mir oft schwer, es in Worte zu fassen, denn das Verstehen läuft auf einem anderen Kanal, als den der gewöhnlichen Sprache. Dennoch will und muss ich es heute versuchen, weil ich glaube, der Umgang mit Wut kann für viele, gerade hochsensible Menschen ein weiterer Schlüssel für eine gesunde Entwicklung sein.
Nach einer emotional sehr fordernden und traurigen Phase bin ich spontan abends bei einem Vortrag von Atma Pöschel zum Thema Wut gelandet. Und obwohl es nur ein Vortrag war, hat es mich verändert! Ich gehöre zu den Menschen, die nicht gelernt haben gut mit Wut umzugehen und so spüre ich sie tatsächlich nicht. Ich spüre Traurigkeit, Enttäuschung, Resignation, Frustration aber ich werde kaum sauer, geschweige denn richtig wütend. Und je wichtiger mir die Bindung zu dem Menschen ist, auf den ich wütend sein könnte, desto weniger kann ich wütend sein aus Angst, dadurch denjenigen zu verlieren.
Was ist positive Wutkraft?
Wir assoziieren Wut in der Regel mit Aggressionen, ausrasten, jemanden emotional durch Worte zu verletzen, ein unkontrollierter Zustand, das System kocht über. Mit positiver Wutkraft kann man den Zustand beschreiben, der davor stattfindet und es geht darum, diesen Zustand wahrzunehmen und dann damit umzugehen. Bevor du explodierst, passiert etwas anderes. Jemand überschreitet deine Grenze, du fühlst, dass etwas für dich falsch läuft, fühlst dich nicht mehr wohl. Da ist eigentlich ein Nein in dir zu einer Situation, einem Verhalten, einem Menschen, einer Aussage etc.
Aus diesem Wissen heraus bedeutet positive Wutkraft, dass ich dafür einstehen kann und meine Grenze ziehe. Dadurch, dass ich spüre, dass etwas für mich falsch ist, kann ich handeln, kann ich ein Nein ausdrücken und auf mich selbst achtgeben. Es bedeutet, dass ich ganz und gar da bin! Präsent in meinem Körper, präsent verbunden mit meinen Gefühlen.
„Wut zu verdrängen heißt: Wir sind körperlich anwesend, aber innerlich weg, unser Haus steht leer. Es ist das Bild eines Hauses voller Menschen, aber die Besitzerin sitzt im Keller. Wir zürnen unseren Krankheiten, bezichtigen Menschen der Grenzüberschreitung, aber unsere Türe steht offen. Die Opferrolle ist in unserer Gesellschaft so normal, dass sie nicht besonders auffällt.“ Atma Pöschel
Ich finde dieses Bild sehr hilfreich. Bewohnst du dein Haus oder lässt du es bewohnen? Lässt du es zu, dass dein Kind sein Haus bewohnt? Weißt du überhaupt, wie man sein eigenes Haus bewohnt?
Es geht hierbei darum deinen Raum auszufüllen, deine Grenzen klar zu spüren und damit bewusst zu sein! Wenn du es schaffst dein Haus zu bewohnen und in einem guten Kontakt mit dem zu sein, was du fühlst und dadurch in der Lage bist dein „Nein“, deine Grenze zu spüren, dann entsteht Kraft. Lebenskraft, Lebendigkeit, das Gefühl von Selbstwirksamkeit und du bist in der Lage klar und zielgerichtet zu handeln. Weil du spürst, was dir guttut und was nicht, und weil du dementsprechend handelst.
Destruktive Wut und ihre Folgen
Hast du gelernt gut mit dieser Wutkraft umzugehen? Hast du Vorbilder dafür gehabt? Die meisten von uns haben eher die destruktiven Formen der Wut kultiviert. Wut die als Aggressionen nach außen gehen, die anderen Schaden zufügt (körperlich oder emotional) oder Wut, die nach innen geht, keinen Ausdruck findet und sich wie eine Last auf unsere Lebenskraft legt.
Zu dieser Kategorie muss ich mich zuordnen und ich war ehrlich gesagt schon ein bisschen erschüttert, als ich mir Gedanken gemacht habe, worauf ich eigentlich wirklich wütend bin, es aber nie zugelassen habe zu fühlen. Da ist eine Menge in meinem System und die Folgen von diesen verdrängten Emotionen ist eine Minderung der Lebenskraft, Leere, das Gefühl gelähmt zu sein, sich als Opfer wahrzunehmen und nicht handlungsfähig zu sein.
Was bedeutet das alles für die Begleitung hochsensibler Kinder?
Hochsensible Menschen, die sehr genau die Emotionen anderer wahrnehmen können, müssen lernen zu unterscheiden, was ihre Gefühle sind und was die der anderen. Deswegen sind Grenzen so essentiell wichtig!
Kinder lernen sehr viel durch die Vorbilder in ihrem Leben und so ist der erste Schritt, dass du dich selbst fragst, inwiefern du einen gesunden Umgang mit deinen eigenen Grenzen pflegst. Eine Mama, die klar ist, die präsent in ihrer Energie ist und die in Konfliktsituationen „da bleiben kann“, präsent ist und den Raum hält, ist ein grandioser Lernpartner.
Kinder müssen die Erfahrung machen, dass ihre Gefühle und ihre Grenzen respektiert und geachtet werden. Wie schnell ignorieren wir als Erwachsene ein Nein eines Kindes und gehen darüber hinweg. Und natürlich dürfen Kinder ein „Nein“ erfahren, denn das ist ein wichtiger Bestandteil dieses Lebens, aber die Frage ist, wie wir damit umgehen, wie wir es kommunizieren und wie wir das Kind in dieser Erfahrung begleiten. Ein „Nein“ kann zu Frust, Wut oder Traurigkeit führen und das zu fühlen ist nicht schön. Wichtig ist dann, das Kind in diesen Emotionen zu begleiten und zu halten!
Kinder können oft noch nicht klar benennen, was sie fühlen, oder wenn etwas für sie zuviel ist. Es gilt sie genau zu beobachten und den Moment zu erkennen, bevor sie eventuell explodieren, oder sich ganz still in sich zurückziehen und sie in diesem Moment achtsam zu begleiten. Genau dann lohnt es sich, nachzufragen!
Wie fühlt sich das für dich gerade an? Oder noch viel einfacher: „Fühlt sich das für dich gut an?“ „Fühlt sich das für dich schlecht an?“ Warum? Was brauchst du? Wenn Kinder Schwierigkeiten haben zu formulieren, unterstützen wir sie, indem wir konkrete Angebote machen und das Kind mit einem Ja, oder Nein entscheiden kann.
Fazit
Sprich deinem Kind nicht seine Gefühle ab! Nur weil wir als Erwachsene etwas als nicht so dramatisch, oder zornig machend empfinden, heißt das nicht, dass dein Kind das ebenso spürt. Wir sind alle einzigartig und wir können uns gesund entwickeln, wenn wir das Gefühl von unserer Umwelt bekommen, dass wir so wie wir sind, akzeptiert, gesehen und geachtet werden!
Reflektiere deinen eigenen Umgang mit Wut. Bewohnst du dein Haus und bist du deinem Kind dadurch ein Vorbild in deinen Emotionen, oder schluckst du viel zu viel, spürst wenig Lebenskraft und hast das Gefühl zu schwach zu sein, um ein erfülltes Leben zu führen? Dann lohnt es sich, genauer hinzusehen, hinzufühlen und dich mit deinen Grenzen zu beschäftigen.
Ich bin wahnsinnig neugierig auf dich und deine Erfahrung mit deiner eigenen Wut und der deines Kindes! Schreib mir gerne in den Kommentaren! Bewohnst du dein Haus?
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