Die meisten von uns denken bei dem Begriff Hochsensibilität an ein ruhiges, zurückgezogenes und sehr feinsinniges Kind. Das ist auch nicht falsch, nur zu einseitig. Es gibt auch eine andere Variation und dazwischen viele Mischformen. Wir müssen sehr gut aufpassen, dass wir den Begriff der Hochsensibilität nicht dafür nutzen, Verhalten in passende Schubladen zu stecken. Als Mutter bist du anfangs froh, der ganzen Geschichte endlich einen Namen geben zu können. Und natürlich ist es absolut hilfreich dein Kind besser verstehen zu können. Durch ein Verstehen kannst du lernen manche Dinge nicht mehr auf dich zu beziehen und deinen Umgang positiv verändern.
Ich möchte dir im folgenden die zwei Grundtypen vorstellen und dich dennoch einladen, dein Kind nicht nur als hochsensibel zu definieren, sondern als ein kleines, individuelles Wesen, was wir bestmöglich unterstützen möchten.
Beginnen wir mit dem introvertierten Typ
Wie oben beschrieben, passen diese Kinder bestens in unsere Vorstellung von einem hochsensiblen Menschen. Sie sind leise, zurückgezogen und unauffällig. Sie beobachten ihre Umgebung sehr genau und können sich so gut anpassen, dass sie in Kindergartengruppen fast schon untergehen. Manchmal treiben sie dich als Mama mit ihrem Perfektionismus und ihren Ansprüchen an sich und die Welt fast in den Wahnsinn. Sie können sehr gewissenhaft, nahezu regelkonform sein.
Ich kenne ein dreijähriges Mädchen, dass die Regeln im Kindergarten in- und auswendig kennt und die Erzieherinnen immer wieder darauf hinweist, wenn ein anderes Kind, sich nicht an die Regeln gehalten hat. Diese Regeln scheinen ihr sehr wichtig zu sein. Sie geben ihr Orientierung und es irritiert und stört sie, wenn sich nicht daran gehalten wird.
Diese Kinder können unzählige Fragen stellen, weil sie Angst haben etwas falsch zu machen. Und das Thema Angst begleitet sie häufig. Sie sind eher unsicher, schüchtern und zurückhaltend, trauen sich weniger zu und ziehen sich schnell zurück. Anstatt ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, schlucken sie sie hinunter. Gefühle werden angestaut und das äußerst sich bei einigen Kindern durch körperliche Symptome. Allergien, Hautirritationen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, oder Bauchschmerzen können auftreten.
Ich selbst bin das perfekte Beispiel, als Kind und heute noch als Erwachsener. Habe ich zuviel Stress und gehe nicht gut mit mir um, reagiert mein Körper für mich. Heute weiß ich das und versuche vorbeugend zu handeln (was mir leider nicht immer gelingt). Als Kind litt ich häufig unter Kopfschmerzen, Heuschnupfen und in Stresssituationen versetzte sich mein kompletter Körper in Alarmbereitschaft und ich war kaum, oder gar nicht handlungsfähig.
Die hochsensiblen und introvertierten Kinder brauchen viel Ermutigung, viel Bestätigung und positives Feedback, um ein sicheres Gefühl für sich selbst entwickeln zu können.
Sie lieben Vorhersehbares und haben ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Und als Eltern solltest du ihnen das natürlich auch geben. Aber nicht nur 😉 fordere sie auch heraus. Übe mit ihnen in kleinen Schritten auch in der großen Welt zurechtzukommen.
Der extrovertierte Typ
Diese Kinder gehen mit ihren Emotionen nach außen. Sie sind impulsiv und können zu wahren Gefühlsausbrüchen neigen. Die gefürchteten Wutanfälle, die du vielleicht kennst. Ihre Gefühle können schnell und stark schwanken. Manchmal sind sie euphorisch und glücklich, dann wieder traurig, oder verzweifelt. Verzweifeln tun sie auch, wenn etwas nicht so funktioniert, wie sie sich das wünschen, wenn sie nicht richtig verstanden werden, oder auch sie selber etwas nicht richtig verstehen. Sie neigen dazu, sich schnell sehr verletzt zu fühlen, und brauchen dann deine Unterstützung und Zuwendung, um wieder in ihre Mitte zu finden. Die extrovertierten, hochsensiblen Kinder übertreiben ganz gerne, können dir unglaubliche Geschichten erzählen und haben eine hohe Ausdrucksfähigkeit.
Ich erinnere mich an einen Jungen, für den ich eine sehr wichtige Bezugsperson war. Er wusste, wie gerne ich klettern gehe und erzählte mir eines Tages davon, dass er ja regelmäßig in einer Klettergruppe sei. Und zwar so glaubhaft und realistisch, dass ich nicht an seiner Erzählung zweifelte. Ganz im Gegenteil entstanden nette Gespräche, was ihm natürlich auch sehr gefiel. Als ich Tage später mit der Mutter sprach, schmiss die sich vor Lachen fast weg. Mein kleiner Freund war in keiner Klettergruppe, jemals gewesen 😉
Was diese Kinder ebenfalls ausmacht, ist, dass sie schnell überdrehen, wenn sie überreizt sind. Das kann sich unterschiedlich äußern und es braucht einen gelassenen Gemütszustand und viel Ruhe, um so ein Kind wieder zu erden. Bei diesen Kindern besteht immer wieder die Gefahr, dass ihr Verhalten mit dem Verhalten eines ADHS Kindes verwechselt wird. Genaues beobachten und gegebenenfalls der Rat eines Kinderarztes oder Therapeuten kann dir weiterhelfen.
Ein paar persönliche Gedanken
Da ich eingangs von Schubladen sprach, möchte ich abschließend nochmal genau darauf hinweisen. Wir sind alles so unterschiedliche Menschen und wir kategorisieren gerne. Es hilft uns, uns und die anderen besser zu verstehen und Verhalten einzusortieren. Es gibt aber kein Schwarz und kein Weiß. Dein Kind hat nicht nur eine hochsensible Veranlagung, sondern auch noch viele andere Charaktereigenschaften, die in sein Verhalten miteinwirken. Zwischen einem extrovertierten und einem introvertierten Kind kann es viele Abstufungen oder Mischtypen geben.
Je mehr wir versuchen einen Menschen in seiner Ganzheit zu sehen, desto mehr ehrlichen Respekt bringen wir ihm entgegen. Und je mehr du dein Kind lernst zu sehen, desto besser kannst du ihm beibringen sich selbst sehen zu lernen. Und vielleicht ist das die wahre Aufgabe, die wir als Erwachsene haben. Den Kindern zu zeigen, was für wundervolle und besondere Wesen sie sind. Damit sie in die Welt gehen, als wundervolle und gestärkte Menschen, die genau das, an andere weitergeben können.
Kinder sind so bunt wie die Welt. Lassen wir uns von ihnen verzaubern.
Deine Verena
Quellenangabe: Susan Marletta-Hart “Leben mit Hochsensibilität”
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