Ich möchte heute über das Üben, während der Eingewöhnungszeit schreiben. Ganz oft in meinen Beratungen, erlebe ich, dass Kinder gut vorbereitet wurden, Eltern auch gut aufgestellt sind und sogar der Kindergarten empathisch und mit viel Zeit eingewöhnt und dennoch… klappt es nicht… denken wir…

 

Dann machst du dir als Mama vermutlich viele Sorgen, wünscht dir natürlich, dass dein Kind fröhlich morgens in den Kindergarten geht, und fragst dich, an was es denn nun liegt und was man machen kann, damit es leichter für das Kind wird. Und dabei vergisst du, dass wir alle einfach ganz normale Menschen sind.

 

Erinnerst du dich, wie es war, als du den ersten Tag in einem neuen Job hattest? Erinnerst du dich noch an die ersten Wochen im neuen Job und wie lange es gedauert hat, bis du dich „angekommen“ gefühlt hast? Vielleicht hast du Lust dir direkt ein paar Notizen dazu zu machen.

 

In der Regel ist es absolut NATÜRLICH, dass das menschliche System lieber in seiner Komfortzone bleiben will… da sind wir sicher, wissen was passiert, können die Situation einschätzen, haben Stress mit dem wir umgehen können und müssen unser Gehirn (das ist Fakt) nicht zu sehr anstrengen (merke… dein Hirn ist gerne faul, es möchte Energie sparen).

 

Eine komplett neue Lebenssituation z.B. Jobwechsel, oder Eingewöhnung, bedeutet für das Hirn eine unglaubliche Anstrengung (deswegen sind wir dann auch schneller müde oder schneller drüber). Alles ist neu! Wir müssen uns neu orientieren räumlich, wir müssen uns neu orientieren was Abläufe betrifft und wir müssen uns neu orientieren mit Menschen.

 

Was bedeutet das auf die Eingewöhnung bezogen?

• dein Kind hat einen neuen Tagesablauf
• dein Kind lernt dich in einer neuen Situation kennen, in der du selbst vielleicht nicht sicher bist
• dein Kind muss eine Beziehung zu neuen Erwachsenen aufbauen und üben durch Erfahrungen sich mit ihnen sicher zu fühlen (Bindungsaufbau braucht Zeit!)
• dein Kind kommt in eine Gruppe von fremden und vielen Kindern (wie fühlst du dich bei Seminaren und Workshops, bei denen du niemanden kennst?)
• dein Kind lernt ein neues Regelwerk kennen
• dein Kind muss die neuen Räume kennen lernen, sie verstehen und sich in ihnen orientieren
• dein Kind hat Stress im Körper, weil alles neu ist und wird vielleicht schneller müde sein nachdem Kindergarten, arg gestresst oder am Anfang schnell krank
• dein Kind bekommt eine Ladung an neuen Eindrücken und Reizen ab, die es so noch nicht gewohnt ist

 

Ich finde, wenn man sich das bewusst macht, stellt sich ja direkt die Frage, warum wir ernsthaft glauben, dass ein Kind nach einer Woche schon munter alleine im Kindergarten bleiben will/kann… UND natürlich gibt es diese Kinder, die das alles toll finden und schnell eingewöhnt werden. UND es gibt eben auch diese besonders feinfühligen Kinder, die ohnehin intensiver auf Reize (äußere und/oder innere) reagieren, deren System somit ohnehin mehr zu tun hat und die dann schlicht und ergreifend ein bisschen mehr üben müssen, als andere. UND das ist nicht schlimm und falsch, sondern so zutiefst menschlich!

 

Deine Aufgabe als Mama und die der päd. Fachkräfte ist genau das zu beobachten, gut im Austausch zu sein und ohne Bewertung anzunehmen, dass jedes Kind (und jeder Mensch) sein ureigenes, individuelles Tempo hat. Wäre es nicht ein Akt der ultimativen Nächstenliebe das anzuerkennen?!

 

Was kannst du jetzt konkret tun während der Eingewöhnung, um dein Kind zu unterstützen?

 

Erwarte nicht zu schnell zu viel. Geht kleine Schritte (Annabelle in meinem Bilderbuch sagt immer: Pfote um Pfote) und übt erstmal eine Situation z.B. das Freispiel. Wenn das gut klappt, übt vielleicht den Stuhlkreis, oder das Frühstück. Dein Kind sollte die Erfahrung machen dürfen, dass es sich gut mit der Freispielsituation auskennt, sich in dieser orientieren und sie einschätzen kann. Außerdem kannst du mit deinem Kind den Kindergarten erkunden und für das Verständnis vom Tagesablauf könnt ihr zusammen einen Plan gestalten.

Wo ist das Problem dabei?

 

Viele Kindergärten fahren nach ihrem Eingewöhnungskonzept und haben nicht die Haltung, dass Kinder ihr eigenes Tempo haben und es vielleicht auch mal ein paar Wochen dauern kann, bis ein Kind sich wirklich sicher fühlt. Deswegen sind Vorgespräche so wichtig, damit du der Erzieherin dein Kind beschreiben kannst, nach dem Eingewöhnungskonzept fragen und dieses besprechen kannst. Am Besten notierst du dir die Vereinbarungen, damit du später auch darauf hinweisen kannst.

 

Der Mensch kann sich durch Üben neue Welten erschließen und seine Komfortzone erweitern. Ein Kind muss während der Eingewöhnung so lange üben dürfen, bis das Neue zum Normalen geworden ist (also es auch zur Komfortzone gehört, oder zumindest nahe dran ist), je weiter weg, desto intensiver der Stress und desto geringer sollte die Dosis der Kindergartenzeit sein.

 

Kapazität für Üben schaffen wir, wenn wir Räume für genügend Regulation nach dem Stress gestalten. Also… nach der Anspannungsphase im Kindergarten, eine Entspannungsphase schaffen, so dass sich das autonome Nervensystem deines Kindes wieder erholen und resetten kann (durch Kontakt zu dir, schlafen, spielen, kuscheln, toben etc.).

 

Wichtig ist dir bewusst zu machen, dass wenn sich das Nervensystem deines Kinders nach der Zeit im Kindergarten nicht regulieren kann, die Kapazität für Stress kleiner wird und somit die Eingewöhnung immer anstrengender bzw. das Stresslevel immer höher. In so einem Fall kann es Sinn machen mal einen Tag zu Hause zu bleiben, damit dein Kind wirklich wieder zur Ruhe findet.

 

Wenn du Fragen hast, schreib sie mir gerne!