Es ist eine erstaunliche Erkenntnis, die ich gerade im Annehmen mache, ohne dass ich es bewusst herbei geführt hätte. Natürlich wirken immer die Bücher in mir nach, die ich gerade gelesen habe und tatsächlich wiederholte sich dort dieses Thema.

 

Annehmen. Im Sinne von, die eigenen Gefühle nicht wegdrücken, sondern spüren. Seit dem Schweigeretreat bin ich irgendwie anders, ist etwas in mir passiert, kam etwas in Bewegung. Der Tag, an dem ich die Tarotkarte „Feeler“ zog, wirkt bis heute nach. Denn ich schlug verdammt hart auf dem Boden der Erkenntnis auf. Ausgerechnet ich… die super sensible Verena, die jede Nuance ihres Gegenübers spürt und jede eigene, innerliche Regung… ausgerechnet ich hab die totale Hemmung meine Gefühle zu zeigen. Wenn ich alleine bin, ist alles gut. Alleine kann ich mit mir selbst in die tiefsten Schichten vordringen, in den schlimmsten Schmerz, da kenn ich nichts. Ich hab keine Angst vor meinen eigenen Emotionen und den Abgründen. Ich kenne sie, ich weiß um sie und ich weiß, dass es wichtig ist, mich mit ihnen zu beschäftigen.

 

Aber ich kann mich nicht zeigen, wenn andere da sind. Vor allem, wenn es fremde Menschen sind. Dann baue ich Mauern, versuche mich zu verstecken, hinter Fassaden und Sarkasmus, oder weiche den anderen einfach aus. Ich mache zu. Innerlich.

 

Und genau das gleiche mache ich aber auch oft mit meinen eigenen Gefühlen. Es gibt diese Phasen, in denen ich Hardcore mäßig einsteige und mich förmlich zerreißen lasse, aber dem ging immer ein langer „Wegdrückprozess“ voraus. Wenn ich keine Kraft mehr zum Wegdrücken habe, dann lasse ich alles zu und genau dann geschieht aber auch immer eine Art von Heilung. Nur ist der Weg dahin super, mega anstrengend.

 

Ich habe mich beobachtet die letzten Monate und ich habe viel Verrücktes und Neues gewagt in der letzten Zeit. Und ich fing an mit unangenehmen Situationen anders umzugehen. Mir wurde nämlich bewusst, was ich da die ganze Zeit mache. Wenn es emotional eng wird, dann geht wirklich alles in mir zu. Mein Atem wird flacher, mein kompletter Bauch wird ein einziger Krampf, meine Schulter und Nackenmuskulatur verspannt sich und ich versuche mich dann durch Trash TV schauen irgendwie zu betäuben, vielleicht auch durch Sport (wenn es nicht gerade über 30 Grad) hat, oder durch Verabredungen. Aber eigentlich tue ich alles, um dem Gefühl auszuweichen, während mein Körper lautstark protestiert und mein Reizdarm sich besonders freut. Alles in mir hat quasi Stress. Dieses Verhalten ist meine Autobahn und mein gelernter Selbstschutz. Ich habe nicht gelernt, auf eine gesunde Art und Weise mit meinen Gefühlen umzugehen. Ich habe gelernt, sie von mir abzuspalten, so lange wie nur irgendwie möglich. Und dieses Verhalten raubt mir Energie und lässt vor allem meinen Körper immer wieder heftig reagieren. Dennoch hatte ich lange keine Idee, was ich tun könnte. Sinnvoll mit Stress umzugehen erschien mir fast schon unmöglich.

 

Seit dem Schweigeretreat hab ich angefangen, regelmäßig zu meditieren, und ich habe den Eindruck, dass mir das tatsächlich hilft. Wirklich lange habe ich mich dagegen gewehrt und verspürte keinerlei Anziehung in diese Richtung. Ich war in den schamanischen Reisen zu Hause, in meiner Verbindung zur Natur, mich einfach hinzusetzen und nichts zu tun erschien mir sinnlos. Vielleicht hatte ich auch einfach Angst vorm Nichtstun… Durch das Meditieren wurde mir schlagartig und erschreckend bewusst, wie viel Schrott ich am Tag denke. Die ganze Zeit… Denken, was aus der Vergangenheit gespeist wird, oder sich in die Zukunft richtet, ohne dass es etwas mit dem Moment zu tun hat. Natürlich, das ist normal. Aber zu erkennen wie stark ich das mache und dass es eben nichts mit der Realität zu tun hat, was ich mir da zusammen denke, war irgendwie befreiend. Es fällt mir nicht leicht, mich hinzusetzen und das auszuhalten. Aber die Momente in denen manchmal eine kurze Stille in mein Gedankenstrom eintritt, die sind unglaublich befreiend.

 

 

Ich bin nicht meine Gedanken – dieser Satz bekam eine ganz neue Bedeutung.

 

Ich kann mich förmlich zerdenken, wenn ich jemanden kennenlerne, wenn ich spüre, dass ich mich verlieben könnte… dann checkt mein Kopf alles ab, vergleicht alles mit Erfahrungen von früher, versucht, Hinweise zu erkennen, positive, wie negative und mein ganzes System gerät unter Stress. Gibt es Paralleln zu früheren Geschichten? Muss ich mich rechtzeitig schützen, oder kann ich es riskieren mich zu öffnen… ach ein wahres Gedankenchaos, Enttäuschung vorprogrammiert.

 

Die große Erkenntnis der letzten Woche… das ganze Denken hilft mir echt nicht weiter und mal ganz abgesehen davon gebe ich dem anderen gar keine Chance er selbst zu sein und ihn wirklich kennenzulernen, wenn ich permanent damit beschäftigt bin ihn mit der Vergangenheit abzugleichen, oder sofort eine rosige Zukunft in meinen Kopf zu kreieren. Mir geht dabei das Wichtigste verloren! Und das ist der Moment! Dieser Moment der Begegnung von zwei Menschen, losgelöst von Sicherheitsbedürfnissen und alten Ängsten.

 

Mit der Erkenntnis, dass meine Zukunftsbilder mal wieder nur Hirngespinste waren, folgte die Enttäuschung, folgten Leere und Resignation, ebenfalls aus schön vielen, alten Gefühlen genährt, die ich seit Jahren mit mir herumtrage. Ich wollte zumachen. Aber auch das fühlte sich nicht richtig an. Das kann nicht der Weg sein.

 

Der Weg liegt im Annehmen des aktuellen Zustandes. Im Annehmen der Emotionen, auch wenn sie sich nicht schön anfühlen, sie gehören dennoch zu mir und sie wollen gespürt werden. Ich gebe mich also der Traurigkeit hin. Eine Traurigkeit die ihren Ursprung viel früher hat. Ich lasse die Gefühle der Einsamkeit zu, die ich nicht mag. Wer mag die schon… ich gerade gar nicht… aber ich werde sie auch nicht los, also wollen sie vielleicht einfach gesehen werden… Ich lasse sie zu und fühle die Resignation, die Verbitterung, die Wut, die Enttäuschung aus vielen Momenten, mit vielen Menschen. Ich höre auf damit, vor mir selbst wegzulaufen und muss mir eingestehen, dass ich mich scheiße fühle! Dass mir die Einsamkeit zusetzt, dass ich mir mein Leben anders vorgestellt habe und dass ich neidisch bin, auf all die happy Sommerpärchen. Klar kann ich mir sagen, dass ich ein echt gutes Leben habe. Eine tolle Familie und tolle Freunde und tolle Hobbys und eigentlich läuft es doch in allen Bereichen gerade ganz gut. Aber das hilft dem Gefühl nicht weiter, dass gesehen werden will!

 

Vielleicht geht es auch darum! Um das Sehen. Viele hochsensible Erwachsene wurden als Kinder in ihrer Art der Wahrnehmung nicht gesehen und geschätzt. Oft wurde sie ihnen sogar abgesprochen und so spalteten sich viele auch immer mehr von sich selbst ab. Ich persönlich merke, dass immer wieder, dass ich so eine Sehnsucht danach habe, von anderen Menschen gesehen zu werden und wenn es dann doch wieder „in die Hose“ ging (aus meiner Empfindung heraus), ist die Enttäuschung um so größer. Aber in erster Linie bin ich für mich verantwortlich. Wie kann ich erwarten, dass mich andere sehen, wenn ich mich zum einen gar nicht wirklich zeige und zum anderen, mich selbst ja nicht sehen möchte. Es ist leicht, sich zu mögen, wenn man sich wohl fühlt und entspannt ist. Aber was ist mit den hässlichen Seiten und den Schmerzerfüllten?

 

Ich übe es im Moment, auch diese Seiten zuzulassen und sie zu spüren, ihnen Raum zu geben (und ja… das fühlt sich nicht schön, an) und sie da sein zu lassen. Ich versuche mich auf meinen Atem zu konzentrieren und nicht in blinden Aktionismus zu verfallen, um die Gefühle zu überdecken. Und es geschieht Erstaunliches!

 

Ich fühle mich manchmal wie befreit, als würde sich ein Druck von meiner Brust lösen und ich besser Luft bekommen. Ich hänge auch nicht mehr ewig in den traurigen Zuständen, sondern sie wandeln sich viel schneller, oder machen mich zumindest nicht total handlungsunfähig. Ich schlafe ziemlich viel… ich glaube, das ist die Art meines Körpers sich schnell wieder zu regenerieren und ich schreibe irre viel Tagebuch. Und es relativieren sich tatsächlich auch die Momente selbst, in denen ich mich so traurig fühlte, denn mit etwas Abstand betrachtet kann ich erkennen, dass vor allem mein Kopf die ganze Situation überaus dramatisch empfand, aber eigentlich gar nichts schlimmes passiert ist.

 

Es ist, als wäre ich endlich von der Autobahn abgebogen, auf eine weniger befahrene Seitenstraße, wo es viel entspannter und ruhiger ist. Dennoch stehen überall die einlandenden Schilder zurück zur Autobahn und ich brauche viel innerliches Gewahrsein, um nicht aus reiner Gewohnheit wieder zurückzukehren.

 

 

 

Es ist mir jetzt das schon das zweite Mal passiert, dass aus einer anfänglich empfundener Enttäuschung etwas wunderbares geboren wurde. Weil ich die Situation annehmen konnte, und meine damit verbundenen Gefühle. Weil die Gefühle durch mich durchgeflossen sind und dann gehen konnten, sie blieben nicht verhaftet. Und dadurch konnten neue Momente und Situationen entstehen, die so schön und bereichernd waren, dass ich es manchmal gar nicht glauben konnte.

 

Jede Begegnung scheint mich einzuladen genauer hinzusehen. Zu mir selbst. Lauter Spiegel für mich, um meine Projektionen zu erkennen und zu lernen, neu mit mir selbst umzugehen. Ein Haufen Lehrer schickt mir da gerade das Leben und es nicht immer leicht. Nicht nur mit ihnen, sondern mit mir selbst.

 

Aber so macht auch das Alleinesein gerade Sinn. Ich habe Zeit zum Nachspüren, bin schon fast dazu gezwungen und immer wieder erstaunt, welche Prozesse es in mir auslöst.

 

Es bringt mich aber auch zum Nachdenken, denn so wie mir geht es vielen. Wieso haben so viele Menschen nicht gelernt, auf gesunde Art und Weise mit ihren Gefühlen umzugehen? Wieso müssen wir das erst Jahre später als Erwachsene lernen und durch so viel schmerzhafte Prozesse gehen?

 

Weil es kaum Vorbilder gibt!

 

Es ist völlig normal, Kindern ihre Gefühle abzusprechen! Und ich weiß, dass ich mich wiederhole. Aber so schnell sind wir dabei die Gefühle der Kinder zu bewerten. Als nicht so schlimm, oder wir versuchen sie sofort abzulenken und somit die Gefühle umzulenken. Als hätten wir Angst vor ihren Gefühlen?! Parallel dazu verstecken wir selbst unsere Emotionen vor den Kindern. Behaupten es würde uns gut gehen, obwohl wir innerlich wütend, oder verletzt sind, setzen Masken auf und lächeln oberflächlich, um das Bild aufrecht zu erhalten. Für die Kinder! Denn meistens wollen wir sie ja damit vor uns und unseren Gefühlen schützen, aber verstehen gar nicht, dass wir genau das Gegenteil machen. Wir geben Kindern nicht die Chance ihre Gefühle zuzulassen und wir zeigen ihnen keinen Weg damit sinnvoll umzugehen, noch leben wir es ihnen vor.

 

Bevor wir Kindern ein Vorbild sein können, müssen wir erst selbst lernen gut und liebevoll mit uns umzugehen.

 

Wie ist das bei dir?

 

 

Fragen für dich:

 

• Wie gehst du mit den Gefühlen um, die du nicht gerne spüren möchtest?

• Welche Strategien benutzt du?

• Wie fühlt sich das in deinem Körper an?

• Wie war das in deiner Kindheit?

• Wie ist das bei deinem Kind?

• Kannst du die Gefühle deines Kindes gut aushalten?

• Was machen die Gefühle deines Kindes mit dir?

• Wie stehst du zu deinen eigenen, eher unerwünschten Gefühlen?