Das “grundlose” Weinen hochsensibler Kinder

 

Kennst du diese Momente, in denen dein Kind aus heiterem Himmel anfängt zu weinen und du überhaupt nicht verstehen kannst, was eigentlich passiert ist? Vielleicht berichten dir auch die Erzieherinnen deines Kindes von Situationen in denen sie sich überhaupt nicht erklären können, was dein Kind so aus der Bahn geworfen hat?

In meiner geschlossenen Facebookgruppe für meinen Online Kurs tauchte dieses Thema auf und ich möchte in diesem Blogartikel etwas genauer darauf eingehen. Denn tatsächlich ist das ein Verhalten, was viele hochsensible Kinder zeigen und was bei uns Erwachsenen nicht nur zu Hilflosigkeit, sondern auch zu Unverständnis und Ungeduld führen kann.

Was hinter dem Verhalten deines Kindes stecken könnte und was du tun kannst, um dein Kind in so einer Situation liebevoll zu begleiten, erfährst du in meinem heutigen Blogartikel.

 

6 Gründe für das plötzliche Weinen deines Kindes

 

1. In deinem Kind haben sich über einen längeren Zeitraum Gefühle angestaut, die durch eine Kleinigkeit alle auf einmal herausbrechen, oder die auch grundlos herausbrechen, weil dein Kind sie nicht mehr halten kann.

Hochsensible Kinder nehmen durch ihre Reizverarbeitung anders wahr, als normal sensible Kinder. Und sie brauchen länger um alle Reize zu verarbeiten. Ist dein Kind nun durch eine Sache besonders betroffen (z.B. ein Streit am Morgen, zuviel Lautstärke, zuviele Menschen, Mitfühlen etc.) oder hat es sich für eine längere Zeit in einer „anstrengenden“ und somit reizstarken Situation befunden, kann es sein, dass sich die innerliche Anspannung durch ein plötzliches Weinen, oder impulsives Handeln äußern kann. Dein Kind hatte nicht die Zeit, oder die passenden Umstände, um seinen inneren Stress abzubauen und irgendwann löst sich dieser Stress durch Weinen von selbst.

2. Sinnesüberreizung

Dieser Punkt könnte auch ein Unterpunkt von Punkt 1 sein. Hochsensible Menschen nehmen Sinneseindrücke anders wahr. Nicht weil ihre Sinne „besser“ sind, sondern weil ihre Reizverarbeitung anders funktioniert. Elaine Aron beschreibt das in einem ihrer Bücher sehr eindrücklich mit dem Bild der Schubladen. Da wo ein normaler Mensch Sinneseindrücke in zwei Schubladen sortiert, packt ein hochsensibler Mensch das alles in 10 Schubladen. Dementsprechend braucht er länger und ist schneller voll. Wenn dein Kind z.B. im Kindergarten grundlos anfängt zu weinen, kann es sein, dass es sich davor in einer längeren, anstrengenden Sinnessituation befunden hat. Vielleicht war der Morgenkreis besonders laut, vielleicht ein Kind besonders impulsiv, vielleicht hat die Erzieherin heute nicht so gute Laune, oder der Pullover kratzt die ganze Zeit. Wir können leider nur schlecht in die Köpfe der Kinder hinein schauen. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass für hochsensible Kinder manche für uns normale Situationen, eben nicht normal sind, sondern stressig, anstrengend und herausfordernd. Irgendwann kommt es dann zu einer Überreizung. Und die löst sich dann, wie oben beschrieben, durch Weinen, wenn sie nicht abgebaut werden kann.

3. Überforderung durch Veränderungen

Hochsensible Kinder mögen es oft nicht, wenn Dinge spontan verändert werden. Im Kindergarten wird überraschend beschlossen, dass heute alle in den Wald gehen, dein Kind hatte keine Möglichkeit sich darauf einzustellen. Die Lieblingserzieherin ist krank und dein Kind hat gerade heute auch noch schlechte Laune. Ihr bekommt überraschend Besuch von Freunden, die dein Kind noch nicht kennt etc. Es gibt unzähliger solcher Situationen und oft überfordern sie hochsensible Kinder. Das heißt nicht, dass du ab jetzt nicht mehr spontan sein sollst! Es heißt lediglich, dass du dir bewusst machen solltest, dass dein Kind in solchen Situationen besonders herausgefordert sein kann. Und wie du jetzt schon weißt, der Stress sammelt sich an und äußert sich dann irgendwann durch Weinen, oder natürlich auch anderes Verhalten wie Rückzug, Wutanfälle oder Verweigerung.

4. Dein Kind bezieht alles auf sich

Auch das geschieht gerade bei hochsensiblen Kindern immer wieder. Sie möchten wahnsinnig gerne sicher mit ihren Mitmenschen verbunden sein. Wenn du als Mama aber gerade keinen guten Tag hast und wenig Geduld, oder die Lieblingserzieherin einefach keine Zeit zum Spielen und Kuscheln, dann kann auch das ein Grund für plötzliches Weinen sein. Dann sehnt sich dein Kind nach Sicherheit und Beziehung und das erlebte Gefühl von Verlust macht es traurig. Im Schlimmsten Fall projiziert es die gefühlte „Ablehnung“ (die für uns Erwachsene manchmal überhaupt nicht stattfand, aber vom Kind so erlebt wird) auf sich selbst.

5. Unterzuckerung

Ein Aspekt, den wir oft unterschätzen. Hochsensible Menschen reagieren intensiver auf Unterzuckerung. Wenn deinem Kind z.B. das Essen im Kindergarten nicht geschmeckt hat und es nur sehr wenig gegessen hat, kann es sein, dass es am Nachmittag deutlich unterzuckert ist. Dann bekommt es vielleicht schlechte Laune, vielleicht überdreht es, oder es weint, weil es in seinem Körper spürt, dass etwas nicht stimmt und sich etwas nicht gut anfühlt.

Was brauchen hochsensible Kinder in solchen Situationen?

 

1. Begleitung und Verständnis

Das ist wirklich der allerwichtigste Punkt! Ein hochsensibles Kind, was überreizt ist, was anfängt bitterlich zu weinen, sich sehr zurückzieht, oder einen Wutanfall bekommt, hat innere Not. Ganz egal, ob wir das als Erwachsene gerade nachvollziehen können, oder nicht. Lass dein Kind in solchen Momenten nicht alleine. Begleite es stattdessen dabei die Gefühle rauszulassen, nimm es ernst, zeige ihm dass du ihm zugewandt bist und biete dich als Tankstelle für Liebe und Nähe an.

Es macht keinen Sinn in der Situation dein Kind in ein Gespräch zu verwicklen, warum es denn so weint. Gib ihm erstmal die Zeit die Gefühle rauszulassen und somit Reize abzubauen. DANACH kannst du versuchen nachzufragen, um dein Kind besser zu verstehen und ihm zu zeigen, dass du Anteil nimmst. Vielleicht könnt ihr in so einem Gespräch auch überlegen, was dein Kind beim nächsten Mal braucht.

Wichtig: Sprich deinem Kind seine Gefühle nicht ab! Aussagen wie: „Das ist doch gar nicht so schlimm“, oder „stell dich nicht so an“, sorgen dafür, dass dein Kind anfängt seiner eigenen Körperwahrnehmung zu misstrauen und es Erwachsene erlebt, die es nicht ernst nehmen. Ein Kind was weint braucht erstmal unsere Zugewandtheit, denn in einem weinenden Kind ist Not!

Vielleicht ist es so, dass dein Kind trotzdem durch eine unangenehme Situation „durch muss“ und du nicht die Möglichkeit hast etwas daran zu ändern. In so einem Fall wirst du das Verhalten deines Kindes aushalten müssen, so wie dein Kind die Situation aushalten muss. Dennoch kannst du deinem Kind sagen, dass und zeigen, dass du es ernst nimmst. Du kannst deinem Kind sagen, dass du weißt, dass das jetzt ein doofes Gefühl für dein Kind ist, aber dass es leider nicht anders geht. Du kannst dich als beständige Bezugsperson anbieten und danach dafür Sorgen, dass dein Kind die Reize abbauen kann.

2. Beobachte dein Kind und begib dich auf Spurensuche

Manchmal stimmt es gar nicht, dass das Kind „grundlos“ weint, wir haben nur nicht richtig hingeschaut oder nachgefragt. Deswegen beobachte dein Kind genau, frage dich, was alles am Tag geschehen ist, mach dir bewusst, auf welche Reize dein Kind besonders sensibel reagiert. Es ist ein bisschen, wie ein Puzzle lösen. Es gibt nicht das eine Puzzleteil, sondern viele kleine, die du zu einem Ganzen zusammensetzen kannst.

3. Verstehe und mache dir bewusst, dass dein Kind Reize auf besondere Art und Weise verarbeitet!

Du kannst von einem hochsensiblen Kind nicht dasselbe erwarten, wie von einem normal sensiblen Kind. Je genauer du die Hochsensibilität deines Kindes verstehst, um so leichter wird es dir fallen, dein Kind zu verstehen.

In meinem online Kurs: „Werde zum Coach von deinem hochsensiblen Kind“ kannst du dich mit der Hochsensibilität deines Kindes vertieft auseinandersetzen und sie immer besser verstehen und dadurch dein Kind immer besser begleiten!

Grundloses Weinen, wenn dein Kind fremdbetreut wird

 

Natürlich wird es geschehen, dass dein Kind im Kindergarten weinen muss und die Erzieherinnen auch nicht verstehen, was los ist. Es kann auch sein, dass die Betreuungsperson gerade nicht die Zeit hat richtig auf dein Kind einzugehen (Unterbesetzung in der Kita, Übergangssituation im Tagesablauf etc.). Je besser auch die Erzieherinnen über die besondere Veranlagung deines Kindes Bescheid wissen, um so besser und verständnisvoller kann dein Kind begleitet werden.

Leider höre ich immer wieder, wie schwierig es für Eltern ist den pädagogischen Fachkräften die Hochsensibilität ihrer Kinder nahe zu bringen. Dennoch würde ich jeden dazu ermutigen es zu probieren! Es gibt nicht umsonst mittlerweile einen Haufen Bücher zu dem Thema. Hochsensibilität wird immer präsenter und ist nichts, wofür man sich schämen müsste! In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift klein&groß, die sich auf die Arbeit in Kitas konzentriert, findet ihr einen Artikel von mir zum Thema hochsensible Kinder. Mit etwas Literatur bewaffnet lassen sich solche Gespräche vielleicht und hoffentlich etwas leichter führen.

 

Zurück zu unserem Thema. Wenn du mitbekommst, dass dein Kind auch im Kindergarten immer wieder grundlos weint, suche das Gespräch mit der Bezugserzieherin deines Kindes. Bitte führe dazu kein Tür und Angelgespräch, sondern macht einen Termin aus. Erzähle der Erzieherin von deinen Beobachtungen zu dem Weinen, frage sie nach ihren Beobachtungen und ihren Vermutungen und dann berichte von deinen. Versucht gemeinsam auf die Spur der Puzzleteile zu kommen. Wichtige Ziele für so ein Gespräch sind:

 

  1. dein Kind macht das nicht um andere zu ärgen und mit Absicht!
  2. dein Kind braucht Unterstützung und Beziehung in solchen Momenten!
  3. welche Lösungen könnte es geben?

 

Es kann leider wirklich sein, dass du in der Erzieherin keine Gesprächspartnerin findest, die dich ernst nimmt. Das ist ein Gefühl, was nicht leicht auszuhalten ist und um so größer werden auch die Sorgen, um dein Kind. Mach dir bewusst, dass dein Kind im Laufe seines Leben leider immer wieder solche Erfahrungen machen wird. Nicht jeder wird es ernst nehmen und verstehen wollen. Nicht jeder will sich die Mühe machen dahinter zu sehen und sein eigenes Schubladendenken zu hinterfragen. Aber du kannst dennoch etwas tun!

Du kannst ein Ausgleich für diese Erfahrungen sein. Du kannst dein Kind fragen, wie es ihm geht. Du kannst zuhören, ganz viel zuhören, du kannst es ernst nehmen und Verständnis zeigen, du kannst da sein, es herzen, kuscheln und lieben und ihm damit wieder Sicherheit schenken.

Und wenn du wirklich das Gefühl hast, dass dein Kind ungerecht behandelt wird, dann kannst du für dein Kind einstehen! Das Gespräch mit der Erzieherin nochmal suchen, eine Situation vom Vortag ansprechen und mit deinem Kind und der Erzieherin klären und deinem Kind dadurch zeigen, dass du hinter ihm stehst!

Ich finde gerade das Thema „grundloses“ Weinen zeigt uns deutlich, wie wichtig es ist sich mit Hochsensibilität zu befassen und diese Veranlagung gut zu verstehen. So können Missverständnisse vermieden werden, genauso wie Missinterpretationen von Verhalten und auch die Verurteilung von Verhalten. Hochsensible Kinder landen bei unreflektierten Erwachsenen oft in Schubladen (zu empfindlich, der stellt sich schon wieder so an, der übertreibt etc.) und als die Begleiter von hochsensiblen Kindern ist es unsere Aufgabe diese Erwachsene dazu einzuladen einmal über ihren Tellerrand hinauszuschauen. Kinder handeln nicht böswillig, Kinder drücken durch ihr Verhalten etwas aus, wofür sie noch keine Worte haben, womit sie überfordert sind, worunter sie leiden, oder was sie beschäftigt. Hochsensible Kinder helfen uns dabei eigene Vorstellungen zu hinterfragen.

Sie sind wie kleine Lehrer, die uns einladen einen Blick hinter die Dinge zu werfen.

 

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