„Verena, können wir nachher darüber reden, wie man nicht fett wird? Ich hab Angst, dass mich die Kinder in der Schule auslachen.“
Diese Aussage eines sechsjährigen Mädchens lässt mich nicht mehr los und zeigt deutlich, was Medien bereits mit kleinen Kindern machen können und wie sehr die vorgegebene Meinung von Schönheit schon die Jüngsten prägt. Die Tatsache, dass sich ein sechsjähriges, schlankes Mädchen genau deswegen Gedanken macht tut mir in der Seele weh.
Wir nahmen uns dann wirklich Zeit, über das Thema zu sprechen, und zwei weitere Mädchen setzen sich zu uns und hörten aufmerksam zu. Es kamen ganz konkrete Fragen dazu, welches Essen gesund sei und welches nicht, wie oft man Sport machen solle und ob es schlimm sei, wenn man abends Chips essen würde. Ich muss gestehen, ich war fast schon etwas sprachlos, aber ich spürte auch, dass ich noch nicht so richtig am Grunde des Problems angekommen war. Und tatsächlich berichtete mir das Mädchen dann von einer weiteren Angst. Sie erklärte mir, dass sie noch nicht so gut rechnen könnte und bestimmt deswegen auch von Kindern in der Schule ausgelacht werden würde.
Und endlich spürte ich, worum es eigentlich geht bzw. ich konnte mich von meinem Denken „die bösen, bösen Medien“ verabschieden und erkannte, dass es hier um Versagensängste und Scham geht. Und ich glaube, das ist etwas, was Kinder viel mehr betrifft, als uns Erwachsenen manchmal bewusst ist. Gerade hochsensible Kinder haben einen sehr sensibles Verhältnis zu Versagensängsten und Schamgefühl und häufig kommt ihnen noch eine gehörige Portion Perfektionismus in die Quere.
Kennst du das auch, dass dein Kind Angst hat neue Dinge auszuprobieren? Dass es neue Erfahrungen (bei denen es scheitern könnte) vermeidet, auch wenn es sich eigentlich dazu hingezogen fühlt? Bemerkst du, dass dein Kind ein gehemmtes Verhalten zeigt und schnell aufgibt, oder mit dem „Scheitern“ gar nicht umgehen kann?
Und gerade sitze ich in einem Café, während ich diese Zeilen schreibe, und bin an genau diesem Punkt. Eigentlich hab ich eine Idee von meinem Leben, aber weil meine alten Glaubensmuster tiefe Spuren in meine Seele gegraben haben, habe ich einen mega Schiss, tatsächlich etwas ganz Neues für mein Leben zu wagen. Ich habe gelernt, auf der sicheren Autobahn zu fahren, weil mir dort am wenigstens passieren kann. Weil ich dort sicher und selbstbewusst bin und mir so schnell keiner etwas vormachen kann. Aber was ist, wenn mich diese Autobahn längst nicht mehr glücklich macht? Menschen mit einem gesunden Selbstwert, die sich in ihrer Kindheit als selbstwirksam erlebt haben, positive Beziehungserfahrungen machen durften und sich nicht davor scheuen, auch mal auf die Nase zu fallen, die probieren einfach neue Wege aus. Die biegen ab! Die steigen sogar aus dem Auto aus und gehen den Trampelpfad, finden dort vielleicht ein Fahrrad und radeln weiter und finden dabei vielleicht noch ein paar nette Leute oder einen tollen Ort und das Leben entwickelt sich aus sich selbst heraus. Die Autobahn sagt uns immer, was als Nächstes kommt, auf der Autobahn fahren ganz viele andere mit uns mit und wir sitzen schön safe im sicheren Auto. Abgeschottet von der Natur, der Welt, mit einem Panzer um uns herum, der uns davor bewahrt zu sehr verletzt zu werden.
Aber… das macht nicht glücklich… und die sehr sensiblen Menschen, die Suchenden und Fühlenden erst recht nicht…
Wie ist das bei dir? Wie gehst du mit der Angst zu Scheitern um? Stellst du dich ihr? Oder läufst du lieber weg?
Ich habe in den vergangenen Monaten wirklich so einiges von meinem alten Leben auf den Kopf gestellt und Dinge ausprobiert, die ich früher sicherlich nicht einfach so gemacht hätte. Ich bin vor allem ganz bewusst das Risiko eingegangen, mich anderen Menschen innerlich zu öffnen auch mit der Gefahr wieder verletzt zu werden. Und obwohl ich nicht mein Wunschergebnis bisher bekommen habe, ich fühle mich lebendig und spüre Kraft. Kraft die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, auch wenn sie nicht so kommen, wie ich das will. Weil ich lerne sie anzunehmen und weil ich vor allem entdecke, wie unglaublich gut es mir tut meine eigenen Beschränkungen in meinem Kopf zu sprengen und sie hinter mir zu lassen. Tja und dann denke ich, ich bin endlich einen Schritt weiter im Leben, nur um im nächsten Moment mit einer Vorstellung eines Menschen konfrontiert zu werden, der ich nicht entspreche. Mein erstes Bedürfnis ist zu überlegen, was ich tun kann, um näher an dieses Bild des anderen zu rücken, aber Gott sei dank regte sich dann Widerstand in mir. Nein verdammt ich bin nicht hier, um Erwartungen anderer zu erfüllen und jemand zu sein, der ich nicht bin. So wie ich mich darin über andere zu nehmen wie sie sind, so wünsche ich mir das umgekehrt auch.
Es ist ein unendlich anstrengender Prozess, sich aus Erwartungen und Bildern zu lösen, die uns andere entgegenbringen, oder die Gesellschaft. Und noch schwerer wird es, wenn wir mit unseren Fehlern, oder unserem Nichtkönnen konfrontiert werden. Das sind Gefühle, die wollen wir gar nicht fühlen. Und ich glaube, genau darin liegt ein bisschen das Problem. Dann drücken wir sie weg, machen zu, gehen zu, überspielen sie, überspielen unsere Unsicherheiten, oder greifen das Gegenüber an. Und ich schaue immer voller Bewunderung auf die Menschen, die einfach taff ihren Weg gehen, ohne sich eine Millionen Gedanken zu machen, und mit einem Urvertrauen in Gott und die Welt, dass mich neidisch und sprachlos macht. Wo zum Teufel nehmen die das her? Ich brauche kaum zu erwähnen, wie angezogen ich mich von solchen Menschen fühle und dass ich solche Begegnungen sehr schätze und als inspirierend empfinde.
Wenn wir in unserer Kindheit keine guten Strategien lernen, mit unserem Gefühl von Unsicherheit umzugehen und wenig einen inneren, stabilen Kern spüren können, dann wird es auch später schwierig. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mir ganz viel selbst zurückerarbeiten muss, was andere selbstverständlich in ihrer Kindheit gelebt und gespürt haben. Und sicherlich spielt das das Temperament eine Rolle. Bei der Veranlagung der Hochsensibilität gibt es einen ganz wichtigen Punkt, den viele Menschen unterschätzen.
Als Kind mit einer anderen Form der Wahrnehmung entstehen ständig Irritationen und Widersprüche. Das Kind nimmt eine Situation auf seine Art und Weise wahr, aber der Erwachsene signalisiert, dass diese Wahrnehmung so nicht „richtig“ ist.
„Mir geht’s gut.“ – obwohl das Kind ganz genau spürt, dass das nicht stimmt
„Du musst nicht weinen, das ist gar nicht so schlimm.“
„Das wird dir guttun.“
Ach und unzählige andere Aussagen sind verwirrend. Der Erwachsene behauptet etwas, Erwachsene haben Recht, also stimmt mein eigenes Gefühl wohl nicht….
Und da beginnt das Drama, denn viele hochsensible erwachsene Menschen lernen erst durch die Erkenntnis der Hochsensibilität (und auch wenn ich die Schublade der HS gerade gar nicht mehr so gerne mag, um sich selbst besser zu verstehen, und zu lernen mit sich liebevoll umzugehen ist es ein wunderbares Wort) wieder ihrer eigenen Wahrnehmung Stück für Stück zu vertrauen. Ich glaube, in diesem Erleben liegt eine der Schwierigkeiten vergraben, warum hochsensible Menschen sich oft eher unsicher fühlen. Sie haben nicht gelernt, sich selbst wirklich zu vertrauen. Und daraus wächst viel schneller die Angst vor dem Scheitern, werden Vermeidungstaktiken entwickelt und bei vielen geschieht eine Überanpassung an die Außenwelt.
Deswegen lass uns HEUTE jede Möglichkeit nutzen, Kinder Vorbilder zu sein und Kinder dazu ermutigen neues auszuprobieren. Lass uns Kinder dabei begleiten, wenn sie scheitern und es üben. Und lasst uns Kinder dabei unterstützen mit ihren eigenen Emotionen und ihrer eigenen Wahrnehmung umgehen zu lernen, anstatt sie ihnen abzusprechen!
Wie das konkret aussehen kann? Hier meine Tipps!
1. Ermutige dein Kind
Und höre nie, nie, niemals damit auf! Lade dein Kind ein, neue Erfahrungen zu machen, lade dein Kind ein etwas zu machen, was es zwar ängstigt, aber auch total anzieht. Sei dabei fest an seiner Seite, ja vielleicht halte sogar seine Hand am Anfang. Sei ganz nah, sei ganz sichere Bindung und freu dich wie eine Schneekönigin über den VERSUCH, nicht über den Erfolg des Versuchs. Und erkenne dann, wann du dich zurückziehen kannst, wann dein Kind genug Stärke hat es allein zu schaffen und schenke ihm dein ganzes Zutrauen!
2. Begleite dein Kind
Lass dein Kind in herausfordernden Situationen nicht allein. Und wenn du nicht an seiner Seite sein konntest, dann biete dich als Gesprächspartner an. Eine sichere Bindung ist das A und O um „explorieren“ zu können. Erst aus dem sicheren Nest heraus, können die Küken anfangen die Welt zu entdecken und wenn die Welt vielleicht mal etwas zu viel wird, dann ist das sichere Nest der Ort, an dem man Trost und Erholung finden kann. Begleite dein Kind auch dabei mit Emotionen und Ängsten umzugehen. Du musst keine Lösung haben! Ganz im Gegenteil sind unsere Lösungen, oft nicht die eines Kindes! Sondern sei ein Wegbegleiter, interessiere dich, frage nach, versuche zu verstehen, hilf deinem Kind die Emotionen zu fühlen und sie loszulassen und stelle sie nicht in Frage! Du kannst anders wahrnehmen und das sogar auch sagen. Aber mit dem Fokus, dass es für dich anders ist, aber dein Kind dennoch seine Wahrnehmung behalten darf und du es verstehen möchtest.
3. Sei ein Vorbild
Von wem könnte dein Kind besser lernen, als von seinen engsten Bezugspersonen? Deswegen probier dich ruhig aus, genau vor den Augen deines Kindes! Wenn du hinfällst, aufstehst und es nochmal probierst, wird dein Kind allein dadurch eine Menge lernen. Wenn dein Kind bei dir beobachtet, dass du deine Gefühle zulässt und sie zeigst, ohne dass du dabei völlig überfordert bist, oder in eine Opferhaltung hinein fällst, dann kann dein Kind lernen mit seinen eigenen Emotionen entspannter umzugehen. Gefühle dürfen sein! Schwierig wird es, wenn sie uns beherrschen und wir nicht mehr aus dem Chaos herausfinden.
Es ist für mich eines der wichtigsten Ziele in meiner Arbeit, Kindern so viel Selbstvertrauen wie möglich mitzugeben und ihnen zu signalisieren, dass sie genau so wie sie sind, richtig sind. Das gelingt je nach Tagesform natürlich nicht immer und auch als Erzieherin verfehle ich, wenn ich gestresst bin, mal den Ton, werde ungeduldig und verliere den Fokus auf das Kind. Das ist menschlich und auch diese Erfahrung müssen Kinder und Erwachsene machen. Zum Vorbild werde ich aber auch in so einer Situatione, wenn ich sie erkenne (vielleicht erst mit etwas Abstand) und mich dann dafür entschuldige. Als Kind hat man so sehr das Gefühl, der Erwachsene weiß alles besser! Und der Erwachsene hat auch schlicht und ergreifend die Macht in vielen Situationen. Wenn Kinder auf Erwachsene treffen, die ihre Fehler eingestehen können, lernen sie, dass auch die Großen mal daneben liegen und nicht immer Recht haben! Ich glaube, auch dass ist eine sehr wichtige Erfahrung, die Kinder machen müssen. So eine Erfahrung kann sie bestärken und ihnen dabei helfen, sich in ihrem Selbstwertgefühl nicht sofort erschüttern zu lassen.
Ich danke dir für’s Lesen und bin neugierig auf deine Erlebnisse zum Thema Scheitern.
Kinder sind so bunt wie die Welt. Lassen wir uns von ihnen verzaubern.
Quelle Fotos: pixabay.com
Hi Verena,
Danke für deine ausführliche Beschreibung über die Begleitung hochsensibler Kinder!
Ich selbst (22 M) habe weder Kinder noch bin ich selbst hs.
Jedoch besteht mein Kontakt zu ihnen in schulischer Nachhilfe.
Zwei meiner Schüler sind in der Grundschule. Ob diese nun hochsensibel sind oder nicht kann ich schwer beurteilen, da beide völlig unterschiedliche Charakter haben (bzw. Temperament). Eines ist gleich die Angst vor dem Versagen. Ich weiß einfach nicht wie ich mit dem Thema umgehen soll. Immer wenn irgendwas nicht gekonnt wird fangen die Tränen an zu kullern. Natürlich sprech ich ihnen immer gut zu und versuche mein bestes, aber beide haben dann eine Art Tunnelblick. An diesem Punkt versuche ich sie direkt auf das richtige Ergebnis hinzuführen, sage den Weg also laut vor und schlage vor selbst noch ein paar Aufgaben vorzurechnen, damit sie sich das nochmal anschauen können.
Des Weiteren habe ich mit dem Mädchen ein paar Dinge außerhalb unternommen.
Kleines Beispiel hierfür:
Nach der ersten Mathe Prüfung zum ersten Mal auf einen Bekannten Kirchturm mit toller Aussicht (sollte man mal als Münchner gemacht haben).
Und als ich sie abholen wollte hat sie geweint mit der Begründung „ich habe Angst davor Höhenangst zu haben“
Später war das alles gar kein Problem mehr als wir dann oben waren.
Vielleicht kannst du mir ja 1-2 Tipps geben
hey Max,
auch dein Kommentar ist bei mir leider untergegangen und jetzt möchte ich mir endlich die Zeit nehmen zu antworten.
Dieser Perfektionismus und der Druck, den man sich selbst macht – das kenn ich selbst so gut… Leistung/Wissen ist dann tatsächlich nicht mehr abrufbar, dafür herrscht im Körper ein wunderbarer Cocktail aus Stresshormonen… Konkrete Tipps finde ich schwer, da ich sehr individuell arbeite, da jeder etwas anderes braucht.
Was ich an deiner Stelle machen würde, ist mit den Kindern darüber zu sprechen, was du beobachtest und wahrnimmst und zusammen mit ihnen zu überlegen, was ihnen hilft! Und dann unterschiedliches ausprobieren und zusammen evaluieren. Und ich würde gemeinsam überlegen, wie der “Druck” abgebaut werden kann. Bevor das Wissen genutzt werden kann, muss ja diese Blockade erst weg. Was hilft da? Vermutlich erstmal raus aus dem Thema, rein in den Körper, oder eine Entspannungseinheit, oder tanzen, oder die Gefühle in einem aufmalen, oder aufschreiben. Und ich würde ganz bewusst versuchen einen Raum zu schaffen, in dem es zwar um Lernen geht, aber ein “Scheitern” nicht schlimm ist. Also wichtig ist deine eigene Reaktion. Bist du genervt, enttäuscht etc. Oder nimmst du es mit Humor, möchtest du verstehen was gerade im Kind vorgeht (nachfragen/interessieren) und willst du dem Kind helfen damit umzugehen (und nicht nur klassisch “Nachhilfe” geben). Ich hatte mal ein Kind, was gerne etwas bestimmtes malen wollte im Kiga, sich aber nicht traute, weil es dachte es würde nicht schön aussehen. Wir saßen da sehr lange! Und er hat zwischendurch ein Papier weggschmissen, geweint und ist sauer geworden. Aber ich bin da geblieben und hab ihm geholfen zu sortieren was er malen möchte und wie es aussehen soll. Wir haben dann Übungsblätter benutzt, auf denen er geübt hat ein Baumhaus zu malen und bei denen klar war, die schmeißen wir weg. Und irgendwann hat er dann sein Baumhaus auf ein “richtiges” Papier gemalt, ich hab ihn gefeiert wie verrückt 😉 und er war stolz wie Oskar. Es geht also auch um’s da bleiben – die Situation halten können – und die eigene Zuversicht dem Kind schenken 🙂