Heute stellt sich Tina mit ihrer Tochter vor! Ich wiederhole mich, wenn ich schreibe, wie sehr mich ihre Offenheit und ihr Bild von ihrer Tochter begeistert! Für mich sind die Interviews ein total spannender Einblick in eure Perspektive als Mütter und ich bin wirklich berührt, wieviele Gedanken ihr euch macht und wie sehr ihr versucht eure Kinder zu unterstützen. Im heutigen Interview kommt eine weitere Facette hochsensibler Kinder zum Vorschein. Und zwar das Thema Wutanfälle! Sicherlich für viele von euch Alltag!

 

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Liebe Tina, stell dich und dein Kind doch einmal kurz vor.

Ich bin 31 Jahre alt und habe eine Tochter, die 4 Jahre und 3 Monate ist. Wir sind beide hochsensibel.

Meine Tochter ist eher extrovertiert hochsensibel. Schon von Geburt an hatte ihr die Hebamme einen sehr starken Willen bescheinigt, weil sie ihre Abneigungen deutlich mit lautstarkem Schreien ausdrückte. Bei Freude zuckte sie wie ein wild gewordenes Hampelmännchen herum. Sie ist sehr direkt – auch in ihren Sympathien gegenüber anderen Personen. Doch war und ist sie auch sehr sensibel und schluckt gerade in der Kita viele negative Gefühle hinunter, weil sie ihren Erziehern noch nicht zu 200% vertraut.

Sie denkt sehr tiefgründig nach, hinterfragt alles, insbesondere die unterschiedlichen menschlichen Verhaltensweisen, und ist eine unglaubliche Geschichtenerzählerin.

Ich bin eher introvertiert, werde von anderen jedoch als willensstark und tough wahrgenommen. Ich denke eigentlich immer nach, fühle mich aber trotzdem oft losgelöst von meinen Gefühlen. Meist merke ich erst, dass es mir seelisch schlecht geht, wenn ich innerlich ständig wütend bin oder mich selbst verletze.

 

Was ist dir an deinem Kind schon immer besonders aufgefallen?

Meine Tochter war schon immer für ihr Alter sehr reif gewesen, hat schon als Säugling ihre Umwelt äußerst aufmerksam in sich aufgesaugt und hatte wahrscheinlich dadurch auch große Einschlafprobleme. Sie hat auch auf leichte Veränderungen und neue Eindrücke im Vergleich zu vielen anderen Kindern sehr extrem reagiert. Je älter sie wurde, desto heftiger und körperlicher wurden ihre Wutanfälle. Außerdem sind Urlaube mit ihr eine ziemliche Gradwanderung, weil sie schnell überreizt ist.

 

Wie bist du auf das Thema HS gestoßen?


Meine Tochter sollte mit 18 Monaten in einer Kita eingewöhnt werden. Im Zuge der katastrophalen Eingewöhnung habe ich viel im Internet recherchiert, wie ich ihr dabei helfen könnte und wie ich der Erzieherin erklären sollte, dass sie etwas komplexer ist als die meisten anderen Kinder in ihrem Alter. Dabei stieß ich auf die Definition der Hochsensibiliät.

 

Wie hast du dich gefühlt, als du das erste Mal darüber gelesen hast?

Ich war glücklich, endlich das fehlende Puzzleteil gefunden zu haben. Nun machte für mich alles Sinn und ich konnte die ganzen Ratschläge für den Umgang mit „klassisch“ sensiblen Kindern über Bord werfen, denn sie hatten eh nie funktioniert und erzeugten zudem mehr Druck bei mir. Außerdem fühlte ich mich nun endlich etwas normaler. Vor dieser Entdeckung ging ich davon aus, dass ich sicherlich psychisch krank sei, weil ich so viel denke und fühle.

 

Wo hast du dich informiert?

Größtenteils im Internet und in FB-Gruppen (dort eher stille Leserin). Ich habe auch einige Bücher gelesen, aber sie thematisieren mehr introvertierte Hochsensible. Mittlerweile lerne ich vor allem durch den Umgang mit meiner Tochter und durch ständige Selbstreflexion.

 

Was hat sich für dich im Umgang mit deinem Kind verändert, seitdem du über Hochsensibilität bescheid weißt?

Ich versuche (!) nun stets den Grund ihres Verhaltens zu erforschen und nicht auf die Norm zu achten. Viele – schwer auszuhaltenden – Wutanfälle geschehen beispielsweise, wenn sie gestresst und überreizt ist. Meine Aufgabe ist es dann, zu ergründen, wo der größte Knackpunkt lag. Es gibt Dinge, die ich nicht ändern kann. Aber es gibt Dinge, die ich ändern kann und muss, weil sie ernsthaft darunter leidet.


Hast du dein Umfeld an deinen neuen Sichtweisen teilhaben lassen und wie hat es reagiert?

Ich habe es nur meinem Mann erzählt, der meine Freude nur teilweise nachvollziehen konnte, weil er sich nie so unverstanden gefühlt hat.

Meiner Mutter, die regelmäßig auf meine Tochter aufpasst (sie wird nach dem Mittagessen aus der Kita abgeholt), habe ich es mit „sehr sensibel“ umschrieben. Wichtig ist für mich nur, dass sie die Charakterzüge ihrer Enkelin kennt und darauf eingeht.

 

Wie gehst du mit dem Thema in der Öffentlichkeit um z.B. in der Kita oder Schule?

Die Kita weiß, dass meine Tochter sensibel, willensstark und für ihr Alter recht weit ist, z.B. bezüglich ihres Allgemeinwissens. Allerdings sehen bzw. „erfühlen“ die Erzieher nicht die ganzen Nuancen dazwischen. Ich muss daher ab und zu „übersetzen“ und die Erzieher daran erinnern, dass meine Tochter anders tickt. Ich finde es ziemlich schade, dass Verhaltensweisen, mit denen meine Tochter sich mehr körperliche Nähe verschaffen will, oft mit dem Argument „Grenzen testen“ negativ bewertet werden. (Ich bin sowieso kein Verfechter dieses Arguments.) Die Erzieher sind sehr locker und liebevoll, aber allein der Schlüssel lässt eine intensive Betreuung, wie es meiner Tochter eigentlich gut täte, nicht zu. Aber ich werde weiterhin für mehr Verständnis für meine Tochter kämpfen, damit sie sich nie als ein Alien fühlen muss.

 

Denkst du, es ist wichtig, dass man als Mama weiß, dass das eigene Kind HS ist?

Ja, auf jeden Fall. Dadurch kann ich viel besser auf meine Tochter eingehen. Außerdem konnte ich Stück für Stück mehr auf mich und meine Tochter hören, anstatt den Ratschlägen von Menschen, die meine Tochter als ein Produkt schlechter Erziehung ansehen. Die „Diagnose“ Hochsensibilität gibt mir Sicherheit und Kraft, um sie in der Verwandtschaft väterlicherseits unermüdlich zu verteidigen, weil sie trotz ihrer Besonderheiten ein ganz normales Kind ist.

 

Welche Herausforderungen empfindest du als Mama mit einem hochsensiblen Kind als besonders?

Vor allem ihre Wutanfälle, die in ihrer Intensität auch immer unsere Probleme widerspiegeln. Als ich sehr viel gearbeitet habe oder als wir Eheprobleme hatten – in beiden Phasen waren ihre Wutanfälle unerträglich. Sie schrie schrill, stampfte wie verrückt auf den Boden, schlug um sich, warf Gegenstände umher, musste sogar manchmal auf etwas beißen.

Zudem ist es nicht immer einfach, eine Balance zwischen Erholung, Spaß und Überreizung zu finden.

Weiter ist ihre Empfindsamkeit in Bezug auf Kleidung recht anstrengend. Mir graut es jedes Jahr vor den kälteren Jahreszeiten…

 

Was hast du von deinem Kind gelernt?

Mehr Geduld und Gelassenheit.

 


Und zum Abschluss: Was verzaubert dich an deine Kind?

Ihre bedingungslose Liebe, die sie mit jeder Faser ihres Körpers ausdrückt. Ihr Selbstvertrauen, mit dem sie unerschütterlich sie bleibt. Ihre bezaubernden, schaurigen, lustigen,… Geschichten, die sie wie selbstverständlich aus den Ärmeln schüttelt. Ihre unglaubliche Auffassungsgabe, mit der sie auch schnell andere Menschen durchschaut. Ihre tiefsinnigen Gedankengänge, die Gespräche nie langweilig werden lassen.