Und weiter geht die Interviewreihe auf “Bunte Kinder”. Heute stellt sich Astrid vor, die einige von euch bestimmt auch als die Autorin von “Enno Anders Löwenzahn im Asphalt” kennen! Wir stoßen in diesem Interview zum ersten Mal auf das Thema Mobbing! Ein Bereich vor dem sich viele Eltern bzgl. der Besonderheiten ihres Kindes ängstigen. Ich freue mich, wenn ihr euch in den Kommentaren dazu austauschen möchtet!

 

Astrid hatte die Idee mir drei Exemplare von “Enno Anders Löwenzahn im Asphalt” für eine Verlosung zur Verfügung zu stellen! Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich darüber gefreut habe!!!! Die Verlosung findet über Facebook statt! Schau heute Abend also unbedingt auf meiner Facebookseite von Bunte Kinder vorbei.

 

 

Liebe Astrid, stell dich und deinen Söhne doch einmal kurz vor.

Ich bin 51 und habe zwei Söhne im Alter von 17 und 11 Jahren. Beide sind besonders sensibel, wenn auch mit anderen Schwerpunkten, unterschiedlichen Ausprägungen und vor allem mit verschiedenen daraus resultierenden „Schwierigkeiten“: Während mein jüngerer Sohn z.B. mit keiner Emotion hinter den Berg hält und sich nie verstellt (was im Umgang mit anderen nicht immer einfach ist), ist der ältere eher verschlossen, was seine Gedanken und Gefühle angeht (was dann auf eine ganz andere Weise manchmal schwierig werden kann). Dennoch sind beide der extrovertierte Typ, haben keine Probleme mit Veränderungen (wenn sie nicht völlig unerwartet kommen) und brauchen auch soziale Kontakte, benötigen dann aber auch wieder ihre Ruhephasen.

 

Was ist dir an deinen Söhnen schon immer besonders aufgefallen?

Beide sind sehr kreativ, fantasievoll und verträumt. Das habe ich aber nie mit dem Thema HS in Verbindung gebracht, zumal mir HS nicht bekannt war. Ich war (bin) selbst ein fantasievoller, kreativer Mensch, der z.B. Geschichten und Filme nicht nur sieht bzw. liest, sondern regelrecht durchlebt. Für mich war (und ist) also immer alles normal.

 

Wie bist du auf das Thema HS gestoßen?

Mit HS habe ich mich erst durch meinen jüngeren Sohn beschäftigt, der es im Kindergarten nicht leicht hatte, als er massive Ausgrenzungserfahrungen machen musste. Dadurch ist er aus dem Gleichgewicht geraten, die komplizierten Seiten einer HS kamen sehr deutlich zum Vorschein und es wurde notwendig, nach allen Seiten hin zu forschen, wie man ihm helfen kann, wieder ins Lot zu kommen. Erst im Verlauf dieses Prozesses ist mir bewusst geworden, dass sowohl er als auch sein älterer Bruder als auch ich hochsensibel veranlagt sind.

 

Wie hast du dich gefühlt, als du das erste Mal davon gelesen hast?

Es war schon ein Aha-Erlebnis. Man denkt ja immer, die anderen sind so wie man selbst. Woher soll man auch wissen, dass andere anders denken und fühlen? Und Dinge, über die ich bei meinem großen Sohn nicht weiter nachgedacht habe, weil sie im Alltag keine große Belastung waren, solange man darauf etwas Rücksicht nahm (z.B. empfindsames Reagieren auf Geräusche oder die Weigerung bestimmte Nahrungsmittel zu essen bzw. Kleidungsstücke zu tragen), bekamen plötzlich eine andere Bedeutung. Ich denke aber, ohne die Schwierigkeiten meines jüngeren Sohnes, die nicht zwangsläufig mit der HS zu tun hatten, hätte ich mich auch nicht eingehender mit diesem Thema beschäftigt.

 

Wo hast du dich informiert?

Ich bin ein lesender Mensch. Es gehört zu meinem Job, mich in verschiedene Themengebiete einzuarbeiten und zu recherchieren. Das tue ich mit Leidenschaft und unermüdlich. Also habe ich alles gelesen, was mir zu dem Thema in die Finger kam. Und ich schätze den Austausch in sozialen Netzwerken wie facebook. Zu lesen, welche Probleme und Lösungen andere Familien haben, empfinde ich ebenfalls als sehr hilfreich.

 


Was hat sich für dich im Umgang mit deinen Söhnen verändert, seitdem du über Hochsensibilitä
t bescheid weißt?

Sehr, sehr viel. Ich gehe mit verschiedenen Situationen, die vorher schwierig waren, viel entspannter um und respektiere die Eigenheiten meiner Söhne mehr als vorher. Und ich reflektiere auch viel mehr über mich selbst, erkenne und erinnere mich noch einmal mehr an mein Ich als Kind. Das fördert das Verständnis für bestimmte Verhaltensweisen, die man normalerweise als Erwachsener vielleicht als „merkwürdig“ erachtet. Und es beruhigt, weil man weiß, das Kind wird schon lernen, damit umzugehen, solange man es entsprechend unterstützt.

 


Hast du dein Umfeld an deinen neuen Sichtweisen teilhaben lassen und wie hat es reagiert?

Im privaten Umfeld nur wenig und nur dort, wo es nötig war. Ich habe zum Glück keine schlechten Erfahrungen damit gemacht, wurde wenig belächelt oder „für verrückt erklärt“. Sowohl Familie als auch Schule und Freunde haben im Großen und Ganzen sehr interessiert und verständnisvoll reagiert.

 

Wie gehst du mit dem Thema in der Öffentlichkeit um z.B. in der Kita oder Schule?

In der Kita wusste ich noch nichts über das Thema HS. Mein großer Sohn hatte dort auch keine Schwierigkeiten, mein Kleiner musste leider massive Mobbingerfahrungen machen. Er hatte eine sehr „pragmatische“ Erzieherin, die seine Fantasie und seinen Gedankenreichtum wohl extrem merkwürdig fand. Das hat das Thema Mobbing noch einmal verschärft, weil sie einfach kein Verständnis für mein Kind hatte. Mittlerweile besuchen beide Söhne Schulen mit besonderem Konzept, die wir mit viel Bewusstsein ausgewählt haben. Insofern haben sie dort in Bezug auf ihre HS keine Probleme und es wird gut auf sie eingegangen. Insbesondere der ältere Sohn hat seine Sachen gut im Griff und der kleinere lernt auch Stück für Stück, für sein Wohlbefinden selbst zu sorgen.

 

Denkst du, es ist wichtig, dass man als Mama weiß, dass das eigene Kind HS ist?

Unbedingt! Ich denke aber, unabhängig von HS ist es für jedes Kind dringend erforderlich (und für die Erwachsenen entspannend), wenn man sich auf die Individualität seines Kindes einstellt und nicht krampfhaft versucht, es der Masse gleichzumachen.

 

Was für Erwachsene wünscht du dir für die besonderen Bedürfnisse hochsensibler Kinder?

Ich wünsche mir grundsätzlich Erwachsene, die sich auf die besonderen Bedürfnisse ALLER Kinder mehr einstellen – mit oder ohne HS. Empfindsam – und empfindsamer als Erwachsene – sind Kinder immer. In unserer Gesellschaft müssen sie aber mehr und mehr einfach funktionieren, haben weniger Rückzugsmöglichkeiten, werden früh mit Erwartungshaltungen konfrontiert, beurteilt und „abgestempelt“. Das ist für kein Kind gut. Für hochsensible Kinder kommt sicher noch hinzu, dass unsere schnelllebige, laute Gesellschaft, die ein gewisses Maß Egoismus erfordert, um nicht unterzugehen, eine besondere Herausforderung für sie darstellt. Die positiven Eigenschaften hochsensibler Kinder werden nicht nur nicht wertgeschätzt, sondern oftmals auch als störend empfunden: „Nun mach mal schneller!“, „Träumst du schon wieder!“, „Wie kommst du denn jetzt auf diese verrückte Idee!“ sind Dinge, die es unseren HS-Kindern schwermachen, ihre besonderen Fähigkeiten selbst wertzuschätzen. Ich würde mir wünschen, dass wir uns wieder bewusst werden, dass die Vielfalt menschlicher Individualität für eine gesunde Gesellschaft überlebenswichtig ist.

 

Welche Herausforderungen empfindest du als Mama mit deinen hochsensiblen Söhnen als besonders?

Mich gegen den Druck von außen zu stellen, wie Kinder zu funktionieren haben, war für mich ein Prozess, den ich erst durchlaufen musste. Ich weiß, wie empfindsam sie sind, wie verletzlich, muss aber dafür sorgen, dass sie ihren Weg in unserer Gesellschaft gehen können, ohne sich selbst dabei zu verlieren.

 

Was hast du von deinen Söhnen gelernt?

Ich lerne immer noch täglich von meinen Söhnen. Das tun aber, denke ich, alle Eltern. Ich lerne täglich Geduld, Loslassen, Vertrauen schenken, achtsames Kommunizieren und vieles mehr.

 


Was verzaubert dich an deinen Söhnen?

Was mich, glaube ich, bei beiden am meisten beeindruckt, ist, dass sie das sind, was man allgemein als „gute Menschen“ bezeichnet. Und das hat für mich ganz viel mit der HS zu tun. Meine Söhne sind beide sehr emphatisch, sie kümmern sich um andere, versuchen stets, mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, bevor sie urteilen, und sind zurückhaltend. Das macht es für sie in unserer Gesellschaft nicht immer leichter und doch ist es aus meiner Sicht genau das, was wir im Augenblick am dringendsten brauchen. Aber darüber hinaus sind sie natürlich ohnehin die bezauberndsten Geschöpfe, die ich mir nur vorstellen kann.

 

Du hast das Kinderbuch „Enno Anders“ geschrieben! Was hat dich dazu bewegt?

Kurz und knapp? Das, was ich unter der Frage „Was für Erwachsene wünscht du dir für die besonderen Bedürfnisse hochsensibler Kinder?“ geschrieben habe. Nein, im Ernst:

Ich bin seit fast 20 Jahren Kinder- und Jugendbuchautorin. Themen, die mich bewegen, finden häufig Eingang in meine Bücher. „Enno Anders“ ist ein besonders persönliches Buch von mir, das in der Zeit entstand, in der es meinem jüngeren Sohn nicht gutging. Nachdem ich mich sehr intensiv mit Mobbing beschäftigt habe, um meinem Sohn zu helfen, wieder in sein seelisches Gleichgewicht zu gelangen, ist zuerst mein Jugendroman „Unsichtbare Wunden“ entstanden, mit dem ich viel in Schulen lese und Fortbildungen für Lehrer zum Thema Mobbing mache. Im Anschluss habe ich „Enno Anders oder Löwenzahn im Asphalt“ geschrieben. Der 11-jährige hochsensible Ich-Erzähler Enno erzählt darin aus seiner Perspektive und ohne Wissen um seine Hochsensibilität manchmal lustig und manchmal traurig von seinen Schwierigkeiten, die aus dem Unverständnis seines Umfelds resultieren. „Enno Anders“ ist ein Mutmachbuch für Kinder, sich auf ihre Stärken zu besinnen und ihren eigenen Weg zu gehen, und für Eltern, ihren Kindern zu vertrauen, ohne sich durch den Druck von außen, wie das Kind zu sein hat, verrückt machen zu lassen. Vor allem ging es mir darum zu zeigen, wie wichtig es ist, dass wir Kindern mit HS (aber genaugenommen allen Kindern) mit mehr Gelassenheit begegnen. Wenn wir Kindern zeigen, dass wir ihnen etwas zutrauen, dann ist das der wichtigste Schritt, sie wachsen zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, dass sie ihren Platz in unserer Gesellschaft finden. Ich freue mich sehr darüber, dass mir viele Mütter geschrieben haben, wie sehr ihnen das Buch zu einem Umdenken verholfen hat, ihre Kinder mit anderen Augen zu sehen. Und ich freue mich über die Resonanz der jugendlichen Leser, die Enno einfach mögen, sich mit ihm identifizieren und die Orchidee in sich entdecken. Die Auszeichnung mit dem „Zürcher Kinderbuchpreis 2017“ – ein Preis, der von einer Erwachsenen- und Kinderjury gemeinsam verliehen wird, hat mich deshalb ganz besonders gefreut.

 

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